Geschichte der Kotten
Im 14. Jahrhundert entwickelte sich Solingen zu einem Zentrum der Klingenherstellung. In den Bach- und Flußtälern entstanden Kotten als Arbeitsstätten der Schleifer, in denen mit Hilfe der Wasserkraft an rotierenden Steinen gearbeitet wurde. Als Vorbild dienten wasserbetriebene Kornmühlen. Seit dem 16. Jahrhundert gab es am Wupperufer Doppelkotten. Insgesamt gab es auf Solinger Gebiet bis zu 109 wassergetriebene Schleifkotten, davon 26 an der Wupper.
Der Beginn
Der erste Balkhauser Kotten entstand als Fachwerkbau mit Strohdach vor 1600, nach ersten urkundlichen Erwähnungen vermutlich 1504.
Der bestehende Innenkotten wurde 1612 durch einen Außenkotten zum Doppelkotten erweitert.
Das Wachstum
Um 1830 brannte der Innenkotten ab. Er wurde auf altem Grundriss wiedererrichtet und durch den Anbau eines zweigeschossigen Gebäudes vergrößert. 1854 fiel der Außenkotten einem Feuer zum Opfer. An seine Stelle trat ein ebenfalls zweigeschossiger Bau. Damit bestand in Balkhausen eine stattliche Doppelkotten-Anlage mit 70 Schleifstellen. Um 1920 arbeiteten in den beiden Häusern 56 Schleifer. Neben Schwertern, Dolchen und langen Messern wurden nun auch Tafelmesser, Fahrtenmesser und erstmals Scheren geschliffen.
Der Niedergang
Trotz fortdauernder Nutzung verfiel der Kotten mehr und mehr. 1950 musste der Außenkotten dem Straßenbau weichen. 1957 verwüstete Hochwasser das Wehr. Es wurde beseitigt und der Obergraben zugeschüttet. Damit war die Anlage ohne Wasserantrieb. Die noch verbliebenen Schleifer behalfen sich mit elektrischem Strom, der oberirdisch zum Kotten geleitet wurde.
Die Rettung
Ein von verschiedenen Förderern gebildetes Kuratorium machte sich die Restaurierung und Erhaltung des Balkhauser Kottens zur Aufgabe. Durch seine Initiative entstand ein aktives Museum, das am 14. April 1962 eröffnet wurde. Noch bis Mitte der 1980er Jahre waren mehrere Schleifer im Kotten tätig.
Das Schleifermuseum
Starke Schäden erlitt das Gebäude 1969 durch einen Brand. Doch das Kuratorium, vor allem der Architekt Wilhelm Klein, resignierte nicht. Mit Hilfe der Stadt Solingen ermöglichte es die Wiederherstellung. Seit dem 4. November 1972 ist der Balkhauser Kotten wieder Schleifermuseum. Seit dem Wiederaufbau betreut, stellvertretend für das Kuratorium, eine im Kotten wohnende und arbeitende Kustorenfamilie das Museum.
Der heutige Balkhauser Kotten
Im Fachwerkstil des 18. Jahrhunderts wiedererrichtet, bewahrt das Baudenkmal die alte Handwerkstradition der Solinger Schleifer. Im Schleifermuseum kann man seit dem 1. Mai 2009 bis heute wieder beim Schleifen auch mitgebrachter Messer und Klingen zuschauen, bei einer kurzweiligen Führung in die Vergangenheit eintauchen und im Rahmen verschiedener Veranstaltungen den Kotten und seine wunderschöne Umgebung genießen.
Die Anlage – Balkhauser Kotten
Die Kottenanlage
Ein Wehr staut den Fluss zur Wasserentnahme. Durch den Obergraben fließt das Wasser zum unterschlächtigen Wasserrad. Die Mechanik setzt die natürliche Fließgeschwindigkeit um und treibt Steine und Scheiben an. Die frühesten Kotten bestanden aus einem einzigen Raum: in der Mitte die Mechanik, links und rechts davon die Schleifstellen.
Das Wasserrad
Das Wasserrad hat einen Durchmesser von 4 m. Gegen seine 32 Schaufeln, jeweils 120 cm breit, drückt das Wasser von unten und dreht das Rad je nach Wasserstand etwa 6 Mal in der Minute. Zu Zeiten der alten Wehranlage drehte sich das Rad bis zu 18 Mal in der Minute und erreichte eine Leistung von etwa 30 PS.
Das Forum
Durch den Haupteingang an der Wupperseite gelangt man ins Forum. Hier geben Informationstafeln dem Besucher Hinweise auf Geschichte, Arbeitstechnik und Arbeitsalltag in einem Schleifkotten. In Vitrinen sind unterschiedliche Arbeitsschritte vom Rohstahl bis zur Schwertklinge und zur Messerklinge ausgestellt.
Der Mechanikraum
Auf der Achse einer 60 cm dicken und 6,50 m langen Eichenwelle sitzt das eiserne Kammrad mit den Holzzähnen, in die ein eisernes Kegelrad greift und die gewonnene Antriebskraft über das große Treibrad und die Transmissionsriemen weiterleitet. Diese eine Welle ist das Herz und der Antrieb eines Kottens.
Die Schleifstuben
An der Mechanik vorbei, gelangt man in die erste Schleifstube, in der ein großer Natursandstein zu sehen ist. Bis ins 18. Jahrhundert hat man an solchen Steinen stehend oder auf dem »Wittstuhl« sitzend große Klingen geschliffen. An den Wänden hängen Ritzwerkzeuge: Häcker und Ritzdraht. Mit diesen Hilfsmitteln pflegten die Schleifer den Stein zu richten und aufzurauhen. Mit dem Betreten der zweiten Stube überwindet man rund 100 Jahre der technischen Entwicklung. Der große Schleifstein ist von einem »Steingeschirr« umgeben, das den Schleifer beim Zerspringen des Steins vor tödlichen Verletzungen bewahrte. Der Stein wurde ständig mit Wasser gekühlt. Gegen das abspritzende Wasser schützte sich der Schleifer durch Schürze, »Blotschen« und »Knieblotschen«. An den Wänden hängen hölzerne Hilfsmittel (»Ortspohn«) zum Festhalten der Klinge beim Schleifen.
Die Pließstube
Eine Hauptachse bewegt über Riemen und Riemenscheiben die Pließtscheiben an vier Arbeitsplätzen. Diese Pließtscheiben aus Holz sind mit einem schmirgelbeleimten Lederrand versehen. Der Schmirgelbelag ermöglicht feines bis feinstes Polieren und gibt den Messern oder Scheren den letzten Schliff. Den höchsten Grad des Pließtens erreicht man mit dem Blaupließten, bei denen die Klinge eine leicht blauschimmernde Färbung erlangt. In der Sprache der Schleifer heißt das spezielle Kühl- und Schmiermittel aus Petroleum, Polierrot, Fetten und Schmirgel »Pließtschmeer«.
Die Menschen des Balkhauser Kotten
Handwerkliche Tradition
Die Klingenproduktion erfolgte arbeitsteilig: Schmiede, Härter, Schleifer und Schwertfeger bildeten getrennte Bruderschaften (Zünfte) und teilten die verschiedenen Arbeitsgänge untereinander auf. Ihrer sozialen Stellung nach waren die Schleifer zugleich selbstständige Meister und lohnabhängige Arbeiter: Sie besaßen eigene Produktionsmittel, aber die Menge der zu bearbeitenden Stücke wurde ihnen von anderen vorgegeben.
Die Schleifer
Gemäß den Zunftprivilegien arbeiteten seit dem 15. Jahrhundert Schleifermeister mit Gesellen („Knechten“) und Lehrlingen. Sie durften ihr Handwerk nur an ihre ehelichen Söhne weitergeben. Die Ausbildung dauerte 6 bis 7 Jahre, welche dadurch begründet waren, dass das Schleifen und Pließten eine hohe Fingerfertigkeit bedeutete und jede Klinge, bzw. ihre Verwendung einen anderen Schleifwinkel benötigte.
Die Lieferfrauen
Die Lieferfrauen (»Liëwerfrauen«) waren meist die Ehefrauen der Schleifer. Sie hatten die Aufgabe, die geschmiedete Rohware beim Schmied, später beim Fabrikanten, abzuholen und nach dem Schleifen wieder abzuliefern. Dazu bedienten sie sich eines auf dem Kopf zu tragenden Lieferkorbs (»Liëwermang«), unterlegt mit einem liebevoll bestickten Kissen (»Pölf«) und bestückt mit ca 25 kg Ware. Ihre Arbeit wurde entbehrlich, als die Schleifer, nicht mehr auf Wasserkraft angewiesen, die Kotten verließen und in die Nähe der vor- und nachbearbeitenden Betriebe zogen.